Warum ich erst wieder ausgewildert werden muss

Letzte Woche war es so weit. Da sagte mein Fredy begeistert:“ nächste Woche fahren wir an den See und trinken schön was und schauen aufs Wasser!“ und ich dachte nur:“ muss ich?“


Nun bin ich angekommen in der Isolation.


Die Isola Bella wäre mir lieber ! Die liegt nämlich mitten im Lago Maggiore und vor 5 Jahren waren wir dort in einer entzückend schlichten Villa am Hang in Stresa und jeden Morgen schaute ich aus dem Wintergarten  auf ebendiese Isola Bella mitten im Lago. 


Nun sitze ich ich seit November gefühlt in Einzelhaft. Natürlich ist das objektiv nicht wahr, aber in mir fühlt es sich wohl so an. Ich habe mich im Rückzug eingerichtet. Noch vor zwei Wochen fühlte ich mich wie ein kleines Tier im Käfig, dass ständig im Kreis läuft und wartet, dass es raus darf. Ein klarer Fall von Hospitalismus! Und jetzt ist es so weit, dass dieses Tierchen aufgegeben hat. Es mag nicht mehr rausgehen. Nicht dass es Angst hätte, nein viel schlimmer, es hat keine Lust mehr auf Freiheit! Als hätte es keinen Appetit mehr aufs Leben. 


Vor zwei Tagen sagte mir ein Bekannter von sich das Gleiche. Scheinbar ist es kein Einzelfall in diesen Tagen! Sollte mich das beruhigen, oder macht das nicht die ganze Misere einfach nur noch deutlicher? 


Was ist mit uns geschehen, dass wir freiwillig im Käfig bleiben? 


Eben dieser Bekannte sagt: „wir müssen erst wieder ausgewildert werden!“ Das traf genau ins Schwarze und auch mitten in mein Herz. Ja! Wild werden möchte ich wieder! Wild aufs Leben, auf neue Erfahrungen, Austausch und Kontakt mit Lebewesen namens Mensch !  


Update:

Ich habe den ersten Auswilderungs-Step unternommen. Am letzten Wochenende habe ich seit September letzten Jahres mein erstes Präsenzseminar mit echten Menschen, in einem Raum, singend, gegeben. Um mich auf diese Menschen vorzubereiten, bin ich extra einen Tag früher gefahren und habe mich in einen wunderschönen Innenhof einer Sekt Kelterei gesetzt. 


Ich habe es so genossen, Stimmen um mich zu hören, Lautstärke Erzählung, Lachen und ein nette Worte mit der Kellnerin ausgetauscht. Ich fühlte mich privilegiert, an einem so schönen Ort zu sitzen, dort gekelterten Cremant zu genießen und selbst gebackenen Flammkuchen zu spachteln. 


Es war himmlisch und gleichzeitig ein bisschen abstrus. So als wäre das letzte dreiviertel Jahr nicht existent gewesen. So als hätten die Zeit Diebe aus dem Buch Momo von Michael Ende Ihr Unwesen getrieben und die Zeit einfach einkassiert. Kennt ihr dieses Gefühl? Das beschleicht mich öfters und nicht nur in Corona Zeiten. 


Das beschleicht mich wenn ich morgens einfach nicht fertig werde und statt geschniegelt und gebügelt (OK, ich bügele eigentlich nur in Notfällen), Im Schlafanzug mit ungeputzten Zähnen vorm Laptop sitze, um eine Zoom Konferenz zu starten. Aber das ist ein anderes Thema, dass vielleicht mal verbloggt werden möchte. 


Nach dem wirklich schönen Seminar mit echten, offenen, interessierten Menschen, habe ich dann noch ein Auswilderungs- Chill-Out angehängt und bin mit meiner Wunderbaren Kollegin Hilkea Knies am nächsten Tag zu einer kleinen Wanderung aufgebrochen, die uns oh Wunder ganz überraschend in einen zauberhaften Biergarten einer Burgruine geführt hat. 

Das Mittagessen bestand aus einer gefühlten Wochenration, So dass wir froh waren, noch ein ordentliches Stück Rückweg zu haben, um es verdauen zu können. 


Und wisst ihr was? Ich bin glücklich! Ich bin gut drauf und freue mich an all den Begegnungen. Gestern habe ich sogar noch ein Fotoshooting für unser Voice Experience Institut drangehängt und auch da in der Shooting Location wunderbare Menschen und Kolleg:innen wieder gesehen, denen es genauso geht wie mir. 


Wir können nur Schritt für Schritt zurückkehren und uns ganz langsam dem Leben wieder anvertrauen. Denn es bleibt die Ungewissheit, wie lange dieser offene Zustand andauern wird. Können wir es wagen Konzerte zu planen? 


Können wir es wagen mit einem Auge wieder auf die Bühne zu schielen und uns darauf zu freuen im Rampenlicht zu stehen, oder als Beleuchter:in dahinter, oder als Tontechniker:in davor? Als Team von Menschen, das Kultur schafft, vermittelt, darstellt, überbringt und liebt. 

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